Analyse, Fahrradstraßenstandard, Fahrradstraße

Eine gute Qualität der Fahrbahndecke sichert ein zügiges und rasches Vorankommen des Radverkehrs © ADFC Leipzig

Stellungnahme zu Leipziger Fahrradstraßenstandards

Wir beziehen Stellung zum Verwaltungsstandpunkt "Fahrradstraßen" in Leipzig, denn wir sehen weiterhin noch großen Nachhol- und vor allem Aufstockungsbedarf. Es folgt eine Stellungnahme mit Empfehlungen zu Fahrradstraßenstandards der AG Verkehr.

Am 27.11.2020 wurde eine Petition im Petitionsausschuss behandelt, die "neue Qualitätsstandards für Fahrradstraßen nach dem Vorbild der Stadt Münster (Westfalen)" fordert. Es wird gefordert "Die von der Stadt Münster formulierten Qualitätsstandards sollen nach Wunsch des Petenten auch in Leipzig angewendet werden. Dazu zählen:

  • komfortable, sichere Breiten schaffen
  • Durchgangsverkehr & Kfz-Parken einschränken
  • Fahrgasse einfärben
  • Bevorrechtigen gegenüber einmündenden Nebenstraßen"

Daraufhin formulierte das Verkehrs- und Tiefbauamt einen Verwaltungsstandpunkt und stellte die These auf, dass bestimmte "Punkte aus den Qualitätsstandards für Fahrradstraßen der Stadt Münster bereits, in abgewandelter Form, in Leipzig angewendet" werden - doch dazu möchten wir uns gern in diesem Kommentar äußern, denn wir sehen weiterhin noch großen Nachhol- und vor allem Aufstockungsbedarf für unsere Leipziger Fahrradstraßen, denn per Definition soll die "Ausweisung von Fahrradstraßen dazu beitragen, dass mehr Menschen aufs Rad steigen." Diesen Fakt sehen wir als noch nicht gegeben.

Analyse der AG Verkehr - Stellungnahme zu Leipziger Fahrradstraßenstandards
 

Mindestfahrgassenbreite 

 

Einhalten der Mindestfahrgassenbreiten: Die in der Stadt Münster geltenden Mindestbreiten für die Fahrgassen einer Fahrradstraße werden im Regelfall auch in Leipzig angewendet.

Kommentar ADFC Leipzig: 

Die Fahrbahngassenbreite von mind. 4,00 m entspricht den technischen Regelwerken und den Qualitätsstandards vieler anderer Städte. In der Antwort des VTA Leipzig wird jedoch nicht auf die Sicherheitstrennstreifen zu Längsparkständen eingegangen. Diese werden in Leipzig nicht markiert oder baulich in Fahrradstraßen realisiert und sollten 0,50 bis 0,75 m breit sein. Entsprechende Sicherheitstrennstreifen sind nicht nur in den Qualitätsstandards für Fahrradstraßen in Münster enthalten, sondern u. a. auch in Berlin, Erlangen oder Bonn anerkannter (neuer) Standard. Die Sicherheitstrennstreifen bzw. Randmarkierungen dienen einerseits der Verhinderung sogenannter „Dooring-Unfälle“ (Unfälle durch unachtsam geöffnete Fahrzeugtüren), verdeutlichen den Streckenverlauf und heben die Fahrradstraße gegenüber dem Erschließungsstraßennetz ab

Entsprechend empfiehlt der ADFC Leipzig eine Umsetzung mit der notwendigen Fahrgassenbreite und der Markierung einer Randmarkierung bzw. von Sicherheitstrennstreifen.

Beschränkung des Durchgangsverkehrs 

„In Leipzig in Anwendung, indem - wie in der Verwaltungsvorschrift zur StVO verankert - lediglich Kfz-Anliegerverkehr zugelassen wird.“

Kommentar ADFC Leipzig:

Die Freigabe der meisten Fahrradstraßen für Anlieger mit dem Zusatzzeichen „Anlieger frei“ gehört bundesweit zum Standard, da dies die Erreichbarkeit der Grundstücke mit Kfz für Anlieger sichert. Gleichwohl kann dies je nach den örtlichen Gegebenheiten nicht ausreichend sein, da die Einhaltung kaum zu kontrollieren ist und durch die Polizei nicht kontrolliert wird.

Aus diesem Grund haben sich weitere Möglichkeiten zur wirksamen Unterbindung von Durchgangsverkehr bzw. quartiersfremden Verkehr bundesweit etabliert:

  • Verkehrsrechtlichen Anordnungen von Einbahnstraßenregelungen
  • Ein- und Ausfahrerbote
  • Bauliche Sperren, Diagonalsperren, Sperrpfosten, Sackgassen
  • Verringerung von Stellplatzangeboten bei gleichzeitigem Ausbau des Stellplatzangebots für Fahrräder (besonders wichtiger Aspekt in Fahrradstraßen)
  • Alternativer Routenangebote/Führungen für den Kfz. Verkehr (vgl. SenUVK 2019, Stadt Erlangen 2019)

Entsprechende Lösungen gehören dementsprechend zum Standard-Instrumentarium in zahlreichen Kommunen und sollten auch in Leipzig, je nach örtlichen Gegebenheiten und nach Abwägung der Interessen, im Sinne der Attraktivierung und Sicherheit des Radverkehrs zum Einsatz kommen.

Vorrang für Fahrradstraßen

„Eine prinzipielle Bevorrechtigung von Fahrradstraßen gegenüber kreuzenden Straßen gemäß den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) wird in Leipzig geprüft. Fahrradstraßen befinden sich auch in mit Tempo 30-Zonen verkehrsberuhigten Wohngebieten, in denen als Regelfall die rechts-vor-links-Regel der StVO angewandt wird“

Kommentar ADFC Leipzig: 

Die Bevorrechtigung von Fahrradstraßen entlang von Radschnellverbindungen, Radvorrangrouten bzw. und Straßen mit übergeordneter Netzbedeutung sollte Standard sein, damit die Fahrradstraßen den gewünschten Effekt in Bezug auf die Radverkehrsförderung entfalten und ein zügiges Vorankommen mit geringen Zeitverlusten ermöglichen (hohe Reisegeschwindigkeit). Sollten die Bevorrechtigungen zu erhöhten Kfz-Geschwindigkeiten führen, sind hierfür Maßnahmen der Verkehrsberuhigung vorzusehen. Durch die erzielte Bündelungswirkung des Radverkehrs und die Möglichkeiten zum Nebeneinanderfahren sollte in Fahrradstraßen die erreichbaren Kfz-Geschwindigkeiten jedoch dauerhaft niedriger als 30 km/h sein.

Innerhalb von Tempo-30-Zonen gilt zwar die Rechts-vor-Links-Regelung, diese sollte jedoch höchstens bei Fahrradstraßen im Nebennetz zum Einsatz kommen. Im Regelfall sollte dabei jedoch geprüft werden, ob z.B. bauliche Anhebungen von Kreuzungsflächen oder die Verringerung von Sichthindernissen (Falschparker etc.) angepasste Geschwindigkeiten und die Verkehrssicherheit befördern können. Alternativ ist es jedoch auch in Tempo-30-Zonen möglich, dass die Fahrradstraßen durchgängig angeordnet werden (wie z.B. in der Beethovenstraße) und somit nicht an jedem Knotenpunkt unterbrochen werden müssen.

Die Bevorrechtigung kann darüber hinaus mit flächigen, rutschsicheren Markierungen verdeutlicht werden. Dies kommt bislang in Leipzig nicht zur Anwendung. Zahlreiche Kommunen nutzen diese Möglichkeit zur Verdeutlichung des Vorrangs bereits und der ADFC Leipzig spricht sich für eine Übernahme dieser Praxis in Leipzig aus.

Einfärbung der Fahrgassen in Fahrradstraßen

„Die Roteinfärbung von Radverkehrsanlagen ist in Leipzig auf besondere Gefahren­situationen, z.B. Unfallhäufungsstellen und Radfurten in Knotenpunkten, beschränkt und dient der Aufmerksamkeitssteigerung und dem Hinweis auf die be­son­dere Gefahren­situation. Eine Roteinfärbung von Fahrgassen in Fahrradstraßen wür­de diese Kennt­lichmachung eines gefährlicheren Straßenabschnitts ad absurdum führen, da Fahrrad­straßen als sicherer als normale Straßenabschnitte gelten. Die Ein­färbung stellt zudem einen ganz erheblichen Mehraufwand gegenüber der jetzigen Kennzeichnung von Fahr­rad­straßen dar, dessen Kostenaufwand sowohl für die erstmalige Einfärbung als auch die dauerhafte Unterhaltung nicht im Budget der Straßen­unterhaltung abgebildet werden kann.“

Kommentar ADFC Leipzig:

Der ADFC Leipzig bedauert, dass mit der Stellungnahme keine nachvollziehbare Kostenschätzung der z. B. in Münster zum Einsatz kommenden Markierungstechniken für Leipzigs Fahrradstraßen vorgelegt worden ist. Die Stadt Münster gibt die Kosten wie folgt an:

  • Kaltplastikbeschichtung: Herstellungskosten 17,30 €/m², Nutzungsdauer etwa 5 bis 10 Jahre
  • Epoxidharzbeschichtung: Herstellungskosten 37 €/m², Nutzungsdauer etwa 10 Jahre
  • Heißasphalt: Herstellungskosten 46,90 €/m², Nutzungsdauer etwa 20 Jahre

Die einheitliche Nutzung roten Asphalts in Fahrradstraßen in den Niederlanden stellt einen erheblichen Beitrag zur Einheitlichkeit und einheitlichen Erkennbarkeit und dem Nutzungserlebnis der Fahrradstraßen – mit hoher objektiver und subjektiver Sicherheit – dar. Dies sollte das Ziel auch in Leipzig sein, insbesondere in Fahrradstraßen, die auch Teil der Schulwegsicherung sind.

Der ADFC spricht sich daher auch in Leipzig für vergleichende Versuche der genannten Materialien und Techniken aus. Immerhin wird den in Münster u. a. zum Einsatz kommenden Epoxidharzbeschichtungen eine Nutzungsdauer von bis zu 10 Jahren in Aussicht gestellt. Mit einer wirksamen Verminderung des Kfz-Durchgangsverkehrs in Fahrradstraßen, und damit dem Ausschalten des größten Faktors für den Oberflächenverschleiß, sind derartige Nutzungsdauern ggf. tatsächlich erreichbar.

Die Wirkungen flächiger Hervorhebungen (Beschichtung oder farbiger Asphalt) auf die subjektive Verkehrssicherheit, die Geschwindigkeit und die Akzeptanz von Verkehrsregeln sind, wie die ersten Untersuchungsergebnisse flächiger Markierungen von Radverkehrsanlagen in Berlin zeigen, nicht zu unterschätzen – und damit deren Wirkung auf die Radverkehrsförderung insgesamt.

Mindestens jedoch sollten weiße Randmarkierungen als Breitstrichmarkierungen, wie bereits im Punkt 1 aufgeführt, zum Einsatz kommen, damit die Fahrradstraße sich deutlich vom normalen Erschließungsstraßennetz unterscheidet.

Zusatz: Zustand der Fahrbahndecke

Vorgaben zum Zustand der Fahrbahndecke werden durch die Stadt Münster nicht beschrieben; dementsprechend gibt es seitens der Stadt Leipzig keine Stellungnahme zu diesem Aspekt.

Dennoch geht der ADFC Leipzig angesichts der letzten Entwicklungen (Widmung neuer Fahrradstraßen 11/2020) nachfolgend darauf ein.

Kommentar ADFC Leipzig:

Eine schlechte Qualität der Fahrbahndecke verringert den Fahrkomfort des Radfahrenden und ist einer der Hautgründe für die Nichtbenutzung von Radinfrastruktur.

Die Fahrbahndeckschicht der beiden im November 2020 in Leipzig neu ausgewiesenen Fahrradstraßen (östlicher Abschnitt der Industriestraße (Schleußig) sowie der Straßenzug Am Elsterwehr/ Mainzer Straße (Zentrum West)) ist in einem schlechten Zustand; es sind viele Straßenschäden vorhanden. Insbesondere eine Vielzahl von ausgebesserten Schlaglöchern stellt eine massive Beeinträchtigung des Fahrkomforts dar. Einige Abschnitte der neu ausgewiesenen Fahrradstraßen sind zum Teil meterlange „Flickenteppiche“.  Aufgrund der Straßenschäden können Radfahrende weiterhin nur mit verringertem Tempo fahren. Dies widerspricht dem Ziel, dass in Fahrradstraßen ein zügiges und rasches Vorankommen des Radverkehrs möglich ist. Dies ist aufgrund des schlechten Zustands der Fahrbahndecke in den genannten Beispielen nicht gegeben.

Für die Zukunft wird empfohlen, dass bei neu auszuweisenden Fahrradstraßen die Qualität der Fahrbahndeckschicht in einem Zustand ist (bzw. ein Zustand hergestellt wird), der ein zügiges und rasches Vorankommen des Radverkehrs ermöglicht.

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    Radwege müssen benutzt werden, wenn dies durch entsprechende Beschilderung angeordnet ist. Sobald Sie auf einem Radweg ein Schild mit weißem Fahrrad auf blauem Grund sehen, müssen Sie zwingend den Radweg benutzen. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Radweg handelt, der vom Fußweg getrennt ist, oder um einen gemeinsam genutzten Weg. Es besteht Radwegbenutzungspflicht.

     

    Ohne blaues Schild haben Sie die freie Wahl, ob Sie Fahrbahn oder Radweg benutzen möchten.

     

    Sind Radwege mit Benutzungspflicht nicht nutzbar (Wurzeln, Schnee und Eis, Blätter, Scherben etc.), kann auf die Fahrbahn ausgewichen werden. Ein Ausweichen auf den Gehweg ist allerdings tabu.

     

    In unserem Dossier zur Radwegbenutzungspflicht gibt es weitere Informationen zum Thema und zur Projektgruppe des ADFC, die sich mit der Überprüfung der Benutzungspflicht von Radwegen beschäftigt.

  • Dürfen Radwege in beide Richtungen befahren werden?

    Nein. Sind auf beiden Straßenseiten Radwege vorhanden, dürfen Sie im Regelfall nur den Radweg benutzen, der in Ihrer Fahrtrichtung rechts liegt. Anderenfalls sind Sie als Geisterfahrer*in auf dem Radweg unterwegs.

     

    Ausnahmen sind erlaubt, wenn der Radweg durch zusätzliche Beschilderung in beide Richtungen frei gegeben ist.

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